In leichten Wellen fielen Ilgen-Nur die Haare über die Schulter. Lässig zurück-gelehnt, saß sie auf dem Stuhl in den Räumen ihres Managements, wo ich die New Comerin treffen durfte, um über ihr Debütalbum Power Nap zu sprechen; In einer Hand eine selbst gedrehte Zigarette, in der anderen eine Strähne. "Es ist einfach nur ein gutes Gefühl, dass es jetzt draußen ist und man nicht mehr nervös darauf wartet oder noch einmal an Sachen herumbastelt." Wem dieser Name noch kein Begriff sein sollte, hat dringenden Nachholbedarf, denn wie mehrere aktuelle Künstlerinnen auf der ganzen Welt, hat sie sich dazu entschlossen, ihren Teil zur Rettung der Indiemusik beizutragen und verleiht der mehrmals für Tod erklärten Gitarrenmusik eine sehr lebendige und innovative Seite. 10 Songs zählt das Album, das mit markantem, klarem Stil und kohärenten Themen auftritt, was bei einem Erstlingswerk bemerkenswert ist: "Das war eigentlich ein ziemlich organischer Prozess. Auf der EP war noch nicht so klar, wie sich die Musik entwickeln wird, aber für das Album habe ich mir auch zwei Jahre Zeit genommen, war viel auf Tour und habe so meinen Stil mehr und mehr gefunden, ohne darüber viel nachzudenken." Die Songs schreibt sie für sich selbst, allein, im stillen Kämmerlein. An ihrer E-Gitarre fühlt sich Ilgen-Nur am wohlsten, schreibt Notizen für Bass oder Klavier und präsentiert die Songs erst ihrer Studioband, wenn sie diese auch sicher allein performen und präsentieren kann. Erst dann wird gemeinsam an den Arrangements gearbeitet, doch Melodie und Texte sind allein Ilgen's Werk und daher fix. "Meine Band ist super, aber ich bin einfach zu sehr Kontrollfreak, um mit anderen zu schreiben." In der letzten Woche folgte ein Interview auf das andere, zahlreiche Reviews erschienen, langsam fällt der Druck von ihren Schultern, denn die Stimmen der Presse, sind überwiegend positiv. Dennoch hat mich meine Recherche der letzten Woche stutzig gemacht, denn kaum ein Bericht kam ohne die Stichworte Slackerqueen, Coming of Age und Generation Z aus. Aktiv oder bewusst hat Ilgen-Nur keine dieser Themen und Beschreibungen zu ihrer künstlerischen Identität gemacht. Nachdem sie den ersten Begriff erst einmal nachgeschlagen hat, konnte sie schon verstehen, woher es kommt "Ja ich schlafe viel und mein Album heisst Powernap, aber so viel Faulheit kann man sich als junge Künstlerin auch nicht leisten. Eigentlich finde ich, dass ich mich eher zum Workaholic entwickelt habe." Auch die andren beiden Charakterisierungen zeigen nur eine Facette der textlichen Welt, der sich Ilgen-Nur widmet. Als Jahrgang 1996 teilt sie Probleme mit ihrer Geration und befindet sich in einer Episode, die schnelllebig ist und in der sich viel verändert. Es ist nur eine logische Konsequenz, dass sich dies auch in ihren Texten widerspiegelt, wobei ihr Publikum von 14 an nach oben offen sehr durchmischt und divers ist. Doch zu viel Zeit vor dem Handy zu verbringen ist eben nur eine Zeile und wird gefolgt von kritischen, dunklen und düsteren Themen, die stärker in den Fokus gerückt werden sollten. "Vielleicht haben die Leute Angst mit mir wirklich über die düsteren Texte zu sprechen, obwohl ich da ganz klar sage was Sache ist!" Sie bezieht sich dabei auf TV, ein Song, der auch in die Schublade Zeitvertreib und Prokrastination gelegt werden könnte, wäre da nicht der scharfe Refrain: But I could be anyone | I could be having fun Come on, take me out, take me out my own house Generell öffnet sich die junge Musikerin in ihren Songs und präsentiert sich ehrlich und ungefiltert. Mit wenigen lyrischen Schlenkern, malerischen Bildern und fiktiven Situationen spricht sie von sich, ihrer Welt, ihren Problemen und Gedanken, ohne dabei sowohl ihr Umfeld als auch die eigene Person vor Publikum zu kritisieren. "Ich schreibe kein Tagebuch. Ich schreibe Songs", sagt sie mit einem durchdringenden Blick, der mir verdeutlicht, dass ihr die Ehrlichkeit ihrer Texte viel bedeutet und es Mut verlangt vor so vielen Menschen, Fehler einzugestehen, wie sie es in New Song II tut. Gleichzeitig hilft der Prozess des Songwriting, Verhaltensweisen zu erkennen und abzulegen. Der ruhigste Song der Platte, der die Flucht in die Unerreichbarkeit, wenn die Dinge nicht mehr so laufen, beschreibt - wir Millennials nennen das übrigens ghosten - zeigt eine verwundbare und reuevolle Seite. Ein ziemlicher Arschlochmove, dem die meisten schon einmal zum Opfer geworden sind, alles in allem aber mehr Verdrängung als eine bewusste Entscheidung ist. Gleichzeitig sieht sich Ilgen-Nur anderen Phänomenen der Schnelllebigkeit ausgesetzt. "Man verpasst einfach immer etwas. Irgendein Freund ist immer in einer Bar oder auf einer Party und es ist schwer geworden alleine zu sein, obwohl ich das immer viel und auch gerne war.“ Mittlerweile hat sich ihr Lebensmittelpunkt nach Berlin verschoben, wo die ruhigen Minuten immer weniger werden. Doch gerade die Melancholie ist die größte Inspirationsquelle, weshalb Phasen von Glück und Zufriedenheit die Musikerin eher nervös machen: "Worüber soll ich denn jetzt schreiben?!" Kein Wunder, dass die Lethargie in jedem Song mitschwingt und der entspannte, faule Slackerlifestyle letztlich von der Ernsthaftigkeit mit der sie über ihre Deep Thoughts und die Einsamkeit zerschlagen wird. Bereits auf der EP brachte Ilgen mit No Emotions einen Song voller Wut und Empowerment raus, der hinter dem Wirbel um ihre Person, ihre Herkunft, ihrem Geschlecht und ihre Coolness unterging. "Wieso müssen meine türkischen Wurzeln, denn schon immer im zweiten Satz erwähnt werden?! Meine Musik ist kein bisschen davon beeinflusst, es ist zu hundert Prozent amerikanische, britische Indiemukke." Der Fokus hat sich ziemlich auf die Persona Ilgen-Nur verlagert, anstatt die tollen Basslines zu thematisieren, die In My Head erst besonders machen, ihre gesanglichen Qualitäten herauszuarbeiten, die im Indierock durchaus keine Voraussetzung sind oder den Mut ihrer Worte, wert zu schätzen. In den kommenden Monaten könnt ihr Ilgen-Nur auf einer großen Tour erleben, auf der auch einige internationale Locations besucht werden. Doch nun wird erst einmal genau hingehört und Power Nap in allen Einzelheit, Facetten und Momenten aufgesogen. Kommt, wir wälzen uns in der Melancholie, um dann gestärkt wieder hervorzugehen - sollte das nicht der Grund für Musik sein?!
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