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Laute Leise töne

Die Sache mit dem Polanski und dem césar

1/3/2020

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Schauspielerin Adèle Haenel verlässt lautstark den Saal, als Roman Polanski mit dem César ausgezeichnet wird.
In der Freitagnacht wurde dem verurteilten Regisseur Roman Polanski eine weitere Auszeichnung für den Film „Intrige“ verliehen und ein weiteres Mal wurde ein sexuelles Verbrechen gebilligt, ein weiteres Mal darf man sich nun Diskussionen stellen, die fragen, ob man Kunst und Künstler nicht trennen könne (wenn es einem in den Kram passt) und auch ein weiteres Mal beruft man sich auf eine rein ästhetische Entscheidung. Doch wie konnte es überhaupt zu einem weiteren Polanski-Film kommen?

Trotz der mittlerweile 3-jährigen Me-Too-Debatte habe ich mir ein recht naives Bild der Kulturwelt aufrecht erhalten. Denn nach wie vor glaube ich, dass Kunst und Kultur gesellschaftlich vorangehen sollte, dass diese kleine Subgesellschaft besonders in der kleinen nicht-kapital-orientierten Szene, die bestmögliche liberale, offene Struktur einer freien, wagemutigen und gleichberechtigten Gesellschaft begünstigt. Durch das Auslösen von Emotionen und Denkanstößen glaube ich daran, dass Kunst mehr Menschen erreicht, inspiriert und einen Wandel besser vorantreiben kann, als Ethikunterricht, Sozialwissenschaften an den Universitäten oder Sonntagszeitschriften, deren Zielgruppe gerne in dem jeweiligen Konsens lebt. Doch die Schere zwischen meiner kleinen, idealisierten Alternativen Szene und der glamourösen Filmbranche, die auch einen kommerziellen Anspruch verfolgt, ist aufgrund der hohen Produktionskosten besonders groß, weshalb es umso wichtiger ist, dass Institute, Produktionsfirmen, Filmverleiher und Förderungen ihr Geld in die richtigen, sorgfältig ausgewählten Hände zu geben. Die Budgetrechnungen setzen quasi schon eine Selektion voraus, und jeder Penny ist hart umkämpft. Nur wenigen Regisseuren und noch weniger Regisseurinnen wird ermöglicht ihre Perspektive zu teilen, ihren Blick auf eine Situation oder einen Konflikt für mehrere Minuten aufzubauen, Leute damit einzunehmen, zu verzaubern, mitzureißen oder zu erschüttern und sie danach wieder auszuspucken und für einen Bruchteil in ihre Gedankenwelt einzudringen und sie mit den Geschichten und Bildern vielleicht sogar zu formen.

Im Falle „Intrige“, der die Dreyfuss-Affäre behandelt, hat man sich entschieden, diese Ehre Roman Polanski zukommen zu lassen. Als Regisseur, der in einem jüdischen Getto groß wurde, mag dies zum Film thematisch zu passen, doch bin ich mir sicher eine andere jüdischer Regisseurin, ein anderer jüdischer Regisseur, hätte einen ähnlichen Film-Epos erschaffen können und eine Aussage treffen können, die nicht von Vergewaltigungsvorwürfen überschattet wird. Die Wahl des Regisseurs mit Polanskis jüdisch-sein zu rechtfertigen ist vorschnell und lässt in einigen Argumentationsketten äußerst zweifelhafte Umkehrschlüsse zu - sollte man dabei auch infrage stellen, ob sich JüdInnen tatsächlich von Polanski repräsentiert sehen wollen, wo es doch viele andere JüdInnen mit beeindruckender Vita gibt. Diese Argumentation, die von mehreren defensiven Seiten angedeutet wurde (beispielsweise vom Casar-Gremiums, das Polanski am 28.02.2020 gezielt auszeichnete und seinen Film zwölfmal nominierte), rechtfertigt die Regiebesetzung mit der Biografie des Künstlers, webt dabei selbst ein untrennbares Band zwischen Kunst und Künstler und hebelt damit doch ihr wichtigstes Argument bzw. die zentrale Frage dieser Diskussion aus.​

Die Diskussion um eben jene Trennung hat mittlerweile jegliche Ernsthaftigkeit verloren und wird von Fall zu Fall anders beantwortet - wie es eben gerade passt. Es ist eine Debatte, die ich gerade noch zulassen kann, wenn es darum geht, ob man sich am Abend, um im Polanski-Kontext zu bleiben, Rosemarys Baby anschaut oder nicht. Doch wenn es darum geht, welchem Künstler man für seine Arbeit 25,500,000 Euro zur Verfügung stellt, sollte man sich gründlicher überlegen, ob man diese Summe tatsächlich in die Sicht eines verurteilten Vergewaltigers, gegen den 6 weitere Vorwürfe in der Luft liegen, investiert. 25,500,000 Euro haben Roman Polanski ein weiteres Werk ermöglicht, dass uns erneut zu dieser Diskussion zwingt, das Frauen dazu bringt einen Saal zu verlassen und der eine „Lynchjustiz“ der Frauenrechtlerinnen formt (Polanski’s Worte in Bezug auf sein Fernbleiben der Cesar-Verleihung). Es sind 25,500,000 Euro, die einem Täter die Möglichkeit geben eine wichtige Geschichte cineastisch und nicht zuletzt moralisch aufzubereiten, und gleichzeitig werden damit anderen möglichen KandidatInnen diese herausragende kulturelle und gesellschaftliche Position verwehrt. Weltkino und Playtime finanzierten lieber die Kunst eines Straftäters, der seiner eigenen Strafe seit über 30 Jahren entgeht, als die eines oder einer Anderen oder einer Anderen. Dabei erwartet man doch bei solchen Summen eine reflektierte, gescheite Wahl; eine Wahl, die künstlerisch wertvoll ist, die der europäischen Kunstszene würdig ist, und die nach drei Jahren Debatte ihre Schlüsse zieht und nicht 25,500,000 Euro in die verurteilten, schmutzigen Hände Polanskis legt. 
Der Cesar hat sich entschieden eben nicht nur Polanski und diesen Film auszuzeichnen, sondern auch die Leute zu bestätigen, die diesen Mann auswählten und sich trotz all dieser Argumente wohl darauf verlassen konnten, dass sein Name Menschen ins Kino zieht, die nichts darüber wissen oder sich auf seine Seite stellen. Es zeigt, dass das Netzwerk dieses Mannes schwerer wiegt, als eine moralische Diskussion um Sexismus und dass seine alten Kumpels, die in den großen Läden etwas zu sagen haben auch heute noch diese Positionen bekleiden oder weiterhin Macht ausstrahlen. Es zeigt leider auch, dass ein Polanski-Film noch ein super Sprungbrett für deine Karriere ist und viele gerne mit ihm zusammen arbeiten wollen, auch Schauspieler und -innen die am Weltfrauentag mutig #metoo tweeten. Dass „Intrige“ nun erneut ausgezeichnet wird, ist nur eine logische Konsequenz dieser Kausalkette, dieser Entscheidung und der Billigung von Polanskis „einer Sünde“.

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    aber auch mal Themen aus der Musikwissenschaft oder was ich schon immer mal loswerden wollte.

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