![]() Langsam verklingt Aloe Vera, der letzte, kraftvolle Song des gerade mal zwei Monate alte Albums der österreichischen Band Bilderbuch. Ich laufe zielstrebig und getrieben von der Musik durch den U-Bahnhof, schmeiße lässig meinen Schal über die Schulter und tripple rhythmisch treppauf zur Oberfläche, gen Sonne. Dann betrachte ich durch gelb getönte Scheiben die Welt, während die neue Platte mit Kids im Park den perfekten Übergang zwischen den zwei Werken herstellt und mich in ein neues Klanguniversum einlädt. Die Welt spielt mit und lässt den Sound aufblühen! Der Beat ist schwer, die Gitarre pornös, der Gesang leiert in zahlreichen Spuren vor sich hin, baut sich auf zu einem Potpourree der Effekte. Das Cluster reduziert sich ebenso schnell wieder auf einzelne Fragmente und wird von bis zur Unverständlichkeit getunten Stimmen durchbrochen. Cut - Neuer Song! Das Intro ist grandios in seiner Rolle als Vermittler zwischen Mea Culpa und Vernissage My Heart. Frisbee zwingt mich mit seiner Leichtigkeit einfach zu einem Lächeln und meine Schultern zucken spielerisch zur funky Melodie. Ich kann es nur lieben und obwohl das Lied so tänzelnd ist, bleib stehen, lache und die Welt dreht sich um mich, als wäre ich in einem Film der 2000 und einer Kamera würde um mich herumfahren: alles verschwimmt bis man sich am Ende fallen lässt und durch diverse Galaxien stürzt, bis man auf einer weichen Wiese landet. Selten, hat mich Bilderbuch mit ihren Sound so sehr in konkrete Bilder und Situationen geschmissen, wie auf diesem Album, das mit einer einzigen Hitparade auffährt. Die Lieder sind deutlicher von einander zu trennen, passen dennoch zusammen. Der Hitcharakter ist jedoch wesentlicher präsenter als beim Vorgänger, bei dem es so gut wie unmöglich ist, nur einen einzelnen Song anzuspielen. Oh ich bin so frei, doch frei heißt auch alleine sein hallt es durch mein Herz und die Vocals tauchen Song für Song mehr in die Vielschichtigkeit der Produktion ab und werden genauso zu einem Instrument, wie alles andere, was hier wunderbares passiert. Gerade in Mr. Supercool wird deutlich was für ein Miteinander auf der Platte herrscht. Alles kommt zusammen und bildet ein großes Ganzes. Jede einzelne Spur erfüllt einen Zweck und das Klanggebilde unterstützt sich gegenseitig, sodass das Spiel der Dynamik ungezwungen und organisch in meinen Körper übergeht. Man muss auf Vernissage my heart nichts hinterfragen, weil die Hingabe in jedem Moment zu spüren ist und der Platte somit eine ganz besondere Bedeutung einräumt, die innerhalb dieses verschroben Bilderbuch-Kosmos einfach nur logisch und folgerichtig erscheint! Es ist ein kurzeres Album, auf dem die Songs sich in ihrer Länge ganz nach dem eigenen Anspruch des Liedes richten und keine Normen erfüllen wollen. Nachdem Ich Hab Gefühle nochmal richtig auffährt und auch mit der Klangrichtung der einzelnen Instrumente spielt (unbedingt mit guten Kopfhörern hören!), schlägt der Titelsong des Albums noch einmal eine klassischere Richtung ein. Klassisch für Bilderbuch: Sätze werden aufgebaut, umgedreht, seziert, dezidiert und gedoppelt, doch der Aufbau beschränkt sich auf die wesentlich Popelelemente. Enden tut die Platte mit dem Neunminütigen Knaller Europa 22. Es wird noch einmal beeindruckend gezeigt, wie diese Band mit ihren Einstellungen und Messages umgehen: Da sind einfach keine Floskeln, alles scheint klar, obwohl die Worte für sich genommen, absolut verschachtelt aufeinandertreffen und dann kommen noch die unzähligen Anglizismen dazu, die in keinster Weise etwas imitieren oder sich anbiedern. Der Text bleibt immer Untertan der Musik und der Situation, weshalb all die kryptischen Zeilen und Sprachmixturen eine Selbstständigkeit entwickeln, die nichts mit prätentiösen Parolen zu tun haben. Ob die Band mit ihrer Konzeption eines Europapasses, geahnt hätte, dass dieses Angebot insbesondere von Politkern der SPD zur Schau gestellt wird, die just in dieser Woche über einen fragwürdigen Paragraphen debattierten, der die Selbstbestimmung der Frau klar und deutlich in Zaum zu halten scheint, möchte ich in Frage stellen. Doch Bilderbuch lässt es in der Welt und (über)lässt ihre Kunst und deren Adaption der Gesellschaft, was all die Radikalität und Hingabe der Musik auf alle erdenklichen Ebenen zieht. Welcher Song nimmt euch so richtig mit? Habt ihr diese Band auch schon für ein entdeckt oder könnt ihr euch nicht auf die funky Songs, in denen so viel geschieht, einlassen?
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